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Fundstück: NEVER (!!!) change a Running System

 – Alexander Jünger

Sie kennen das vielleicht: eine Sache hat einen kleinen Haken, funktioniert aber abgesehen davon eigentlich ganz gut. Dass eine Optimierung unter Umständen nur zusätzliche Probleme bereitet und man es deshalb vielleicht lieber bleiben lässt, zeigt das folgende Beispiel eines Kochbox-Versenders. Ein Fundstück aus der Redaktion.

Jede Woche die gleichen Fragen: Was wollen wir essen? Wann gehen wir einkaufen? Die Antworten darauf werden ahnungslosen Familienmanagern in der Generation App inzwischen von den Anbietern von Kochboxen abgenommen. Die Idee dahinter: man wählt Gerichte aus einer vorgegebenen Liste und erhält die dazugehörigen Rezepte und benötigten Zutaten per Lieferung. Soweit, so sinnvoll. Weil wir gerade einen Gutschein für die erste Bestellung hatten und es meine Frau tatsächlich im ersten Anlauf hinbekommen hat, am Smartphone ein Kundenprofil einzurichten, wollten wir als vierköpfige Familie die erste Bestellung gemeinsam zusammenstellen. Weil das am Desktop-PC besser als am Smartphone klappt, loggten wir uns dort ein. Benutzername war die E-Mail, die meine Frau standardmäßig nutzt, das Passwort war wie immer individuell gewählt.

Aber was war das? Die zuvor am Smartphone zusammengestellten Menüs waren nicht mehr da und überhaupt sah alles irgendwie anders aus. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis wir den Fehler gefunden hatten: meine Frau hatte sich bei der Neuanmeldung und Erstellung ihres Profils bei ihrer E-Mail-Adresse vertippt. Was liegen das „r“ und das „t“ aber auch so dicht beieinander?

Also nochmal mit der falschen E-Mail-Adresse beim Kochbox-Versender am Desktop-PC eingeloggt, die am Smartphone ausgewählten Menüs gefunden, mit allen Familienmitgliedern vorm großen Monitor bisschen nachgebessert und dann war die erste Bestellung auch schon abgeschickt.

Produkt hui, Service pfui
Auch nach der siebenten Woche waren wir mit den Essensvorschlägen, unserer Menüauswahl und den Zutaten sehr zufrieden und von den Ergebnissen begeistert. Dass der versprochene Rezeptordner, der kostenlos im Zuge der soundsovielten Bestellung mitgeliefert werden sollte, anfangs nicht kam, ließ sich problemlos im Chat klären (nachdem man in diversen Internetforen erfolgreich recherchiert hatte, wie sich der direkte Kontakt mit dem Kundenservice an den endlosen FAQs vorbei anbahnen lässt).

Dann im Februar der Hinweis, dass aufgrund von Ernteausfällen bestimmte Lebensmittel nicht wie geplant zur Verfügung stehen und Zutaten und Rezepte deshalb angepasst werden. Informationen dazu würden zeitnah per E-Mail übermittelt. Okay. Wenn sich Zutaten und Rezepte ändern, sollte man das wissen. Also: E-Mail-Adresse anpassen, damit man die auch wirklich abrufen kann. Die App des Kochbox-Versenders bietet die Option „E-Mail-Adresse ändern“ ... liefert aber immer die Meldung „Änderung systemseitig nicht möglich“. Dass es sich nicht um ein temporär begrenztes Problem handelt, war nach fünf Tagen dann auch klar, aber irgendwie nicht mehr so wichtig.

Was bisher mit Improvisationstalent ausgeglichen werden konnte, gestaltete sich mit der Zeit immer schwieriger: Zucchini statt Spitzpaprika, Porree statt Lauchzwiebeln etc. ... als dann noch eine Gewürzmischung bei einer Lieferung fehlt und ein kostenloser Test-Skyr beim Versand kaputt geht und seinen Inhalt im ganzen Paket verteilt, öffnen wir wieder die App „außer der Reihe“. Die Option „fehlende Zutat melden“ ist schnell gefunden und der Hinweis „Gewürzmischung fehlt“ ebenso fix ins Textfeld eingetippt. Tsching! 1,99 Euro Rabatt auf die nächste Bestellung. „Dann kann man ja auch noch sagen, dass Spitzpaprika gefehlt hat“, sagt meine Frau, hat „Paprika fehlt auch“ schon getippt und erhält eine Nachricht in dem Tenor: „Oh! Die Probleme scheinen sich zu häufen.“ Dann der Hinweis, man möge doch bitte mit einem Kundenbetreuer Kontakt aufnehmen. Wir wählen den Chat, schreiben was fehlt und haben am Ende weitere sieben Euro Gutschrift für die nächste Bestellung. Das war ja einfach. Paar Textbausteine hin und her und fertig ist der Lack? In diesem Fall ja, weil es die Kompetenzen des Kundenservice-Mitarbeiters ermöglichen. Ähnliches liest man auch in diversen Kommentaren im Netz. Der Tenor scheint zu sein: mit kleinen Zugeständnissen die Wogen im Kundenservice zu glätten. Kann natürlich auch eine Strategie sein. Um die Aktualisierung der E-Mail-Adresse zu bitten, vergessen wir im Rabatttaumel jedenfalls komplett.

Das Kernproblem war also immer noch existent: die Änderungen an den Zutaten wurden immer kreativer, aber die Adaptionen waren nicht per E-Mail abrufbar. Also wieder rein in den Chat und auf das E-Mail-Problem hingewiesen. Leider konnte man dies aus dem Support nicht direkt erledigen. Statt dessen erfahren wir, dass wir eine E-Mail an „XYZ“ schicken sollen und dass dann das bisherige Kundenkonto still gelegt wird. Parallel erstellt der Mitarbeiter im Chat ein neues Profil mit neuen, korrekten Zugangsdaten. Problem gelöst? Leider nicht ganz!

Wir loggen uns im neuen Profil ein, ersetzen das temporäre Passwort, wählen die Menüs für die kommende Woche und bekommen einen Neukunden-Rabatt angeboten, der um Bestätigung bettelt. Wir tun ihm den Gefallen und senden die Bestellung ab.

Es wird Dienstag und damit der Tag, an dem die letzte Änderung an der Menü-Lieferung möglich ist, die am Samstag darauf bis spätestens 12 Uhr mittags erfolgen soll. Normalerweise erfolgt an diesem Tag auch die Abbuchung des Rechnungsbetrages über den gewählten Bezahlweg, doch die PayPal-App zeigt - warum auch immer - eine Rücküberweisung des zuvor abgebuchten Betrags.

Müssen wir dann jetzt für kommende Woche Lebensmittel einkaufen oder nicht? Um diese Frage zu klären, wendet sich meine Frau wieder an den Chat. Dort erfährt sie, dass die Lieferung storniert wurde, weil zum wiederholten Mal ein Gutschein-Code für Neukunden unter der gleichen Anschrift aktiviert wurde. Bei Reaktivierung der Bestellung würde dann jetzt der korrekte Preis angezeigt und abgebucht. Nichts leichter als das! Ruckzuck war die Bestellung reaktiviert und der korrekte Preis für die Lieferung zu sehen. Super! ... Dass keine erneute Abbuchung via PayPal erfolgte, hätte uns jedoch stutzig machen sollen.

Natürlich warten wir am kommenden Samstag trotzdem artig bis 12 Uhr, in der Hoffnung, dass die Zutaten für die Mahlzeiten der kommenden Woche geliefert werden. Die App sagt ja - die fehlende PayPay-Abbuchung eher nein. Müssen wir jetzt doch noch fix einkaufen fahren? ‚Oder liegt vielleicht jetzt eine Rechnung bei, weil wir ja systemgezwungen „Neukunden“ sind? Zehn Minuten warten wir noch‘, denke ich noch so - da hat meine Frau schon den Chat angeworfen. Ich gebe ihr wenig Chancen, denn es ist Hauptliefertag und Wochenende zugleich. Wer ein Problem hat, meldet sich genau jetzt. Ich lasse mein iPhone trotzdem die Nummer des Kundenservice wählen.

Meine Frau hat eher „Erfolg“ und ein Mitarbeiter ist im Chat verfügbar. Leider helfen uns seine Standardantworten nicht weiter und als die Frage „kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ ihn wahrscheinlich schon mehr nervt als meine Frau, wird der Chat einseitig von Berater beendet. Nach drei weiteren erfolglosen Chatlösunge-Versuchen meiner Frau war ich indes schon für den Einkauf gerüstet. Die Frage „wann“ wir einkaufen würden, hatten wir also wie in den letzten Wochen sicher - die Frage nach dem „was“ eher nicht. Das wiederum macht ersteres nicht unbedingt leichter. Ein Teufelskreis! Mit dieser Erkenntnis trenne ich die vom iPhone gehaltene Verbindung mit der Warteschleife nach knapp 35 Minuten.

Nach einer Woche ohne den Kochbox-Versender wissen wir erst recht, wie gut das Produkt ist. Aber man auch hat eine Menge Zeit zum nachdenken:

  • Hätte man die E-Mail-Adresse lieber nie aktualisiert, um sich den ganzen Fasching zu ersparen?
  • Wie war die Anmeldung und Erstellung eines Profils mit einer E-Mail-Adresse ohne doppeltes Opt-In überhaupt möglich?
  • Und warum probiert man nicht einfach mal einen alternativen Kochbox-Versender aus, wenn die Menü-Auswahl mal schwer fällt, eine Pausierung der Lieferung quasi unendlich lang möglich ist und der Kundenservice der anderen im Markt agierenden Anbieter - laut aktueller Tests - bei vergleichbaren Preisen auch nicht besser ist?

Eben!

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